Liebe Leser*innen,
Im Wahlkampf spielten die Themen bürgerschaftliches Engagement, Zivilgesellschaft und Demokratieförderung keine Rolle. Das wurde am Tag nach der Bundestagswahl schlagartig anders. Die CDU/CSU-Fraktion überraschte mit einer kleinen parlamentarischen Anfrage über die parteipolitische Neutralität staatlich geförderter zivilgesellschaftlicher Organisationen. Plötzlich war die Frage, was zivilgesellschaftliche Organisationen dürfen bzw. was anscheinend nicht (mehr), heiß diskutiert. Dabei wäre der Zivilgesellschaft mehr geholfen, über moderne Rahmenbedingungen, Wertschätzung und Dialogformate zu sprechen.
Unsere schnellen, sachlichen und vielgeteilten Posts, Einschätzungen, Einordnungen und den gemeinsamen offenen Brief der Robert Bosch Stiftung, der Schöpflin Stiftung, der Rudolf Augstein Stiftung und Maecenata Stiftung seien hier nur kurz erwähnt. Die kleine Anfrage gibt aus zwei Gründen Anlass zur Sorge: Erstens, sie zeigt eine große Unkenntnis und großes Unverständnis über das Verhältnis von Bürger*innen und Staat, über die Rolle und Funktion von Zivilgesellschaft in einer liberalen Demokratie und über die Wirkung und Wertschätzung von freiwilligem bürgerschaftlichem Engagement für das Gemeinwesen. Für die Maecenata Stiftung zeigt die kleine Anfrage und die Debatte, die sie auslöste, dass unsere Erklärungsarbeit pro Zivilgesellschaft wohl niemals ruhen kann. Zweitens, und das wiegt viel schwerer, stellt die Anfrage politische Äußerungen zumindest von staatlich geförderten zivilgesellschaftlichen Organisationen in Abrede. Das Gebot zur parteipolitischen Neutralität – übrigens ein Begriff, den die AfD gegen unliebsame Kritiker*innen instrumentalisiert – wird ganz bewusst zu einem Schweigegebot über tagespolitische Themen verengt. Der aktuelle Rechtsrahmen (vgl. AEAO) und die aktuelle Rechtsprechung (des BFH) erlauben dagegen politische Äußerungen. Bisher schien das auch Konsens unter den demokratischen Parteien zu sein. Wohin aber Beschränkungen des bürgerschaftlichen Raums, international „shrinking civic space“ genannt, führen können, war bisher nur in Ungarn, Polen, der Türkei oder aktuell in den USA zu beobachten. So unterstreicht die kleine parlamentarische Anfrage der CDU/CSU-Fraktion leider, wie hochaktuell unsere Kernthemen – der rechtliche Rahmen von Zivilgesellschaft, Gemeinnützigkeit, democratic backsliding, und shrinking civic space – sind. Wir werden nicht müde an diesen zu arbeiten.
In einem ebenfalls äußerst aktuellen Beitrag teilt Stefan Vogt von der Freudenberg Stiftung seine Beobachtungen über die Lage der Zivilgesellschaft in Ostdeutschland. Die AfD und andere rechtsextreme Gruppierungen arbeiten tagtäglich daran, das demokratische Engagement von Personen, Vereinen oder Initiativen aus dem öffentlichen Raum in Ostdeutschland zu verdrängen. Mithilfe von Täuschungen, Diffamierungen und Agitationen sollen Ausgrenzung, Abschottung und Rassismus salonfähig gemacht und demokratische Akteur*innen dazu gebracht werden, das eigene Engagement einzustellen. In diesem Artikel zeigt Stefan auf, welchen konkreten Bedrohungen die Akteur*innen der demokratischen Zivilgesellschaft in Ostdeutschland vor Ort ausgesetzt sind und wie die lokale Zivilgesellschaft wirksam gestärkt werden kann.
Im Rahmen der Berliner Stiftungswoche veranstalten wir am 3. April | 12:30–13:30 Uhr einen digitalen Lunchtalk mit dem Autor.
Mehr zu unserem Engagement und allen Veranstaltungen im Rahmen der Berliner Stiftungswoche findet Ihr weiter unten.
Mit herzlichem Gruß
Ansgar Gessner
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