Berlin, 12.12.2023
Eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie des Netzwerks Steuergerechtigkeit analysiert die deutschen Milliardenvermögen. Sie zeigt, wie groß die Wissenslücken über Deutschlands Milliardäre sind, wie leicht sich dadurch Mythen verbreiten lassen und wie aus Wissenslücken und Mythen Politik wird.
"Deutschlands Superreiche und ihre Lobbyorganisationen haben erfolgreich dafür gesorgt, dass wir sehr wenig über sie wissen und kaum über ihre Steuerprivilegien sprechen. Das soll die Studie ändern." so Studienautor und Koordinator des Netzwerks Christoph Trautvetter.
Die
Studie zeigt: Die Vermögen superreicher Haushalte in Deutschland dürften weitaus größer sein als in Forschung, Medien und Öffentlichkeit angenommen. Allein die mehr als 200 Milliardenvermögen im Land könnten zusammengerechnet statt rund 900 Milliarden Euro mindestens 1.400 Milliarden Euro umfassen, möglicherweise sogar noch deutlich mehr.
Weiter zeigt die Studie: Der Familienunternehmer ist unter den Milliardären mittlerweile eher Mythos als Mehrheit: Jede fünfte Milliardärs-Dynastie hat das Unternehmen bereits verkauft und von den restlichen Milliardärsunternehmen wird nur etwa die Hälfte noch aktiv von der Familie gemanaged.
Und nicht zuletzt zeigt die Studie: Der typische Steuersatz der Milliardäre hat sich in den letzten dreißig Jahren etwa halbiert. In dieser Zeit wurde die Vermögensteuer abgeschafft, die Unternehmensteuer vor allem für nicht ausgeschüttete Gewinne halbiert und der Spitzensteuersatz gesenkt. Die Folgen dieser Entwicklung zeigen sich sowohl am Beispiel eines konkreten Milliardenvermögens als auch am Portfolio eines typischen Multimillionärs.
"Insgesamt kosten uns die Steuerprivilegien für Superreiche jedes Jahr 80 Milliarden Euro, also jeden Mensch in Deutschland etwa 1.000 Euro pro Jahr. Wenn wir uns in der aktuellen Situation etwas nicht leisten können, dann das." so Julia Jirmann, Ko-Autorin der Studie und Leiterin des Bereichs Vermögen und Erbschaften im Netzwerk Steuergerechtigkeit.
Die Ergebnisse der Studie sind auch Teil des Dokumentarfilms: "Die geheime Welt der Superreichen - Das Milliardenspiel". Heute, 20:15Uhr im ZDF.
Kontakt für Nachfragen:
Christoph Trautvetter und Julia Jirmann
c.trautvetter@netzwerk-steuergerechtigkeit.de / j.jirmann@netzwerk-steuergerechtigkeit.de
Tel: 017678675480 / 030 217 99 996
Mehr Informationen zur Studie und Link zum zugrundliegenden Datensatz:
www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/milliardenvermögen
Mehr Informationen zu den Steuerprivilegien für Superreiche:
Zentrale Ergebnisse der Studie:
- Für eine der in Deutschland meist verwendeten Quellen der Reichtumsforschung, die „Reichenliste“ des „Manager Magazins“ zeigen die Forschenden, dass diese sowohl die Anzahl als auch die Höhe der Milliardenvermögen untererfasst. Mit den zusätzlich identifizierten elf weiteren Milliardenvermögen ergibt sich eine erweiterte Liste mit 237 Einträgen für 2023.
- Der Gesamtwert der deutschen Milliardenvermögen dürfte weitaus größer sein als die in der gerade aktualisierten „Reichenliste“ des „Manager-Magazins“ geschätzten etwa 900 Milliarden Euro. Das liegt zum einen an den jetzt zusätzlich recherchierten elf Vermögen, die einen Wert von mindestens rund 70 Milliarden bis 120 Milliarden Euro haben. Zum anderen zeigen der Abgleich und die vertiefte Analyse einzelner Beispiele, dass privates – vor allem aus am Kapitalmarkt reinvestierten Gewinnausschüttungen gespeistes – Vermögen untererfasst ist und die Unternehmen, deren Besitz einen wesentlichen Teil der Milliardenvermögen ausmacht, zumindest teilweise unterbewertet sein dürften. Tatsächlich dürfte der Wert der deutschen Milliardenvermögen laut der neuen Studie mindestens etwa 1,4 Billionen Euro betragen. Aber auch 2 Billionen erscheinen den Forschenden nicht unplausibel, wenn man unter anderem volkswirtschaftliche Vermögensanalysen und Schätzungen zu Vermögen in Offshore-Standorten mit einbezieht.
- Um wissenschaftliche Analysen zur Struktur der Milliardenvermögen zu ermöglichen, bereitet die Studie die 237 Einträge der erweiterten Liste in einem konsistenten Datensatz mit insgesamt 212 Milliardenvermögen auf. So werden beispielsweise unterschiedlichen Personen zugeordnete Einträge, die sich im Wesentlichen auf Teilvermögen eines Milliardenvermögens beziehen, zusammengefasst.
- Hinter den 212 Milliardenvermögen stehen nach der Analyse rund 4300 Haushalte, wobei es eine erhebliche Streuung gibt: Etwa 2700 dieser Haushalte halten Anteile an 11 Großvermögen, wohingegen sich 114 andere Milliardenvermögen auf je drei bis maximal neun Haushalte verteilen und weitere 33 jeweils sogar auf weniger als drei. Nur ein kleiner Teil aller Haushalte, die an Milliardenvermögen partizipieren, hat ein individuelles Eigentum von einer Milliarde Euro oder mehr, „aber fast alle gehören zu den vermögendsten 0,1 Prozent“ in Deutschland, schreiben Jirmann und Trautvetter. Menschen in diesem Segment der Verteilung können in der Regel sehr gut von den Erträgen ihres Vermögens leben und müssen nicht arbeiten. Vermögen in dieser Liga können zudem zur „generationenübergreifenden Sicherung von Status und Macht“ dienen.
- Während „intensive Lobbyarbeit“ dafür gesorgt habe, „dass Milliardenvermögen oft mit Unternehmertum gleichgesetzt wird“, ergibt die datengestützte Strukturanalyse der Expert*innen, dass 38 der 212 Milliardenvermögen aktuell nicht oder nicht mehr auf einem mit der Familie verbundenen Unternehmen beruhen. Das entspricht 18 Prozent. Grund dafür ist vor allem der Verkauf des Unternehmens und die Reinvestition der Erlöse am Finanzmarkt.
- Von den verbliebenen 174 „Familienunternehmen“ werden lediglich 95 noch aktiv durch Familienmitglieder gemanaged (55 Prozent). Nur in neun dieser Unternehmen übernimmt eine weibliche Person die wichtigste Rolle und/oder hält den größten Anteil. Ein ostdeutsches Milliardärsunternehmen gibt es auch über dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung zumindest laut den Daten nicht.
- Die Forschenden zeigen zudem, dass die Besteuerung der Erträge aus den Milliardenvermögen meist weitaus niedriger ist als noch vor knapp 30 Jahren. Neben der Aussetzung der Vermögensteuer hat sich beispielsweise der Steuersatz auf nicht ausgeschüttete Gewinne seit 1996 fast halbiert – von über 57 Prozent auf unter 30 Prozent. Zum Vergleich: Der Steuersatz auf durchschnittliche Arbeitseinkommen hat sich im gleichen Zeitraum nur geringfügig von 21 auf 18 Prozent reduziert. Zusätzlich leisten Arbeitseinkommen über die Sozialabgaben einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung der sozialen Sicherung – anders als Kapitaleinkommen aus Milliardenvermögen.
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