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Newsletter 3/2020

Inhalt

1. Einleitung  

2. Überblick aus Presse und Wissenschaft zu unseren Arbeitsbereichen

         2.1 Vermögen- und Erbeschaftssteuer

         2.2 Steuern und Entwicklung

         2.3 Steuerbetrug

         2.4 Unternehmenssteuern

         2.5 Geldwäsche und Immobilien

3. Publikationen             

4. Termine

(Unter diesem Link finden Sie unsere letzten beiden Newsletter.)

1. Einleitung

Obwohl wir bisher bewusst auf Coronaisierung unserer Arbeit verzichten, steht auch unser Newsletter diesmal im Zeichen von Corona. Steuern können kurzfristig (z. B. Stundung für mehr Liquidität) und mittelfristig (z. B. Investitionsförderung und Kaufkraftstärkung) eine Rolle bei der Krisenbewältigung spielen und auch der Vorschlag des IWF, kurzfristig die Steuern auf Benzin zu erhöhen, um die ins bodenlos gefallenen Ölpreise auszugleichen, klingt charmant. Trotzdem gibt es kurz- und mittelfristig wichtigere Themen und Lösungsvorschläge (von direkten Beihilfen bis staatlichen Investitionen für einen Green New Deal). Dass es die Abschaffung des Soli für die aller Reichsten sogar in die Stellungnahme der Leopoldina geschafft hat, ist eher ein Beleg für deren unausgewogene Besetzung (u. a. mit den wirtschaftsliberalen Ökonomen Lars Feld und Clemens Fuest) als sinnvolle Steuerpolitik. Dafür stellt sich – auch angesichts der trotz massiver Beihilfen weiter fließenden bzw. nur gestundeten Dividenden, Mieten und Kreditzinsen (siehe dazu auch Makronom "Das Kapital in der Krise") – langfristig die Frage, wie eine gerechte Verteilung der Krisenkosten organisiert werden kann, womit wir wieder bei den Steuern wären.

Weitere internationale Dokumente und Beiträge zu Corona und Steuern finden Sie unter 3. Publikationen.

2.1 Vermögen und Erbschaft

Unsere Forderung nach einer stärkeren Besteuerung von Vermögen erhält angesichts der Coronakrise noch einmal höhere Dringlichkeit. Die Bundesregierung hat im Zuge der Wirtschaftshilfen einen Nachtragshaushalt mit einer Nettoverschuldung von 156 Mrd. Euro beschlossen. Die große Frage dabei: Wie sollen die Schulden zurückgezahlt werden? Die SPD-Parteivorsitzende Esken hat eine Vermögensabgabe ins Spiel gebracht, um die Belastung auf diejenigen Menschen zu verschieben, die am wenigsten unter der Krise zu leiden haben – und am meisten schultern können. Dieser Vorstoß wurde von vielen Seiten kritisiert – allerdings vor allem wegen des Timings. Patrick Bernau hat währenddessen in der FAZ dargelegt, warum die Coronakrise wahrscheinlich ein Möglichkeitsfenster für genau solche Umverteilungen der Abgabenbelastung auf reiche Steuerpflichtige öffnen wird.

Neben dem Timing wird vor allem die konkrete Ausgestaltung einer solchen Vermögensabgabe wichtig sein. Stefan Bach hat hierzu bereits erste Vorschläge gemacht. Ein alternativer Vorschlag für eine temporäre Vermögensteuer auf EU-Ebene für eine solidarische und wirtschaftlich vorteilhafte Finanzierung, die Europa zusammenbringt, kommt indes von den französischen Ökonomen Landais, Saez und Zucman.

Ein im März veröffentlichter wissenschaftlicher Artikel zur Geschichte der Vermögensungleichheit in Deutschland schätzt die Reduktion des Vermögensanteils der obersten 1 % durch den Lastenausgleich nach dem zweiten Weltkrieg auf ganze 5,5 % – am Anfang, nicht am Ende des Wirtschaftswunders.

Unsere AG Vermögen und Erbschaft arbeitet derzeit detaillierte Vorschläge aus, die wir nach dem Abflachen der akuten Coronakrise in die Debatte einbringen.

2.2 Steuern und Entwicklung

Die Coronakrise zeigt deutlich, dass der Globale Süden auf höhere Einnahmen für einen stärkeren Sozialstaat angewiesen ist. Ausgangssperren stoppen durch enge Behausungen die Ausbreitung des Virus nicht, und das Gesundheitssystem praktisch aller afrikanischen Länder weist große Schwächen auf. Harare, die Hauptstadt Simbabwes mit über 1,6 Mio. Einwohnern, steht beispielsweise lediglich ein einziges Beatmungsgerät zur Verfügung. Zudem sorgt Kapitalflucht für Finanzierungsprobleme. Es ist daher zentral, dass sich Deutschland und die EU auf schnelle Hilfszahlungen an alle betroffenen Länder einigen. Es braucht jedoch mehr als Geld: Auch medizinische Ausrüstung muss bereitgestellt werden.

Dass medizinische Ausrüstung zunächst seinen Weg in die reichen Ländern findet, zeigt die potenziell tödliche Relevanz von globaler Ungleichheit. Unser neuester Blogbeitrag nimmt sich vor diesem Hintergrund der Coronakrise die globale Entwicklung der Einkommensungleichheit vor und erklärt die verschiedenen Nuancen des augenscheinlichen "globalen Zusammenwachsens".

Viele internationale Prozesse und Treffen finden wegen Corona zurzeit nicht statt beziehungsweise verschieben sich. Das auf UN-Ebene neu gegründete FACTI-Panel („Financial Accountability, Transparency and Integrity“) hat am 6. April einen ersten Hintergrundbericht veröffentlicht. Das Panel soll im Juli 2020 einen vorläufigen Bericht und im Februar 2021 einen Schlussbericht vorlegen. In letzterem sollen zentrale Herausforderungen und Empfehlungen für mehr finanzielle Transparenz und Integrität für die Erreichung der Agenda 2030 erarbeitet werden.

2.3 Steuerbetrug

Der Cum-Ex-Prozess am Bonner Landgericht wurde wegen Corona verkürzt und das Urteil bereits am 18. März verkündet. Für die zwei angeklagten Aktienhändler fielen die Strafen mit niedrigen Bewährungsstrafen milde aus. Von dem zentraleren der beiden Händler sollen zudem 14 Mio. Euro eingezogen werden. Vermögensabschöpfung betrifft auch eines der zwei beteiligten Warburg-Unternehmen, allerdings im weitaus höheren Ausmaß von 177 Mio. Alle Beteiligten haben Revision eingelegt. Der Fall wird daher vom Bundesgerichtshof überprüft werden.

Jetzt auch offiziell: Cum-Ex ist ein Verbrechen! Laut Einschätzung des Gerichts muss allen Beteiligten stets klar gewesen sein, dass die Geschäfte auf einem Gesetzesverstoß beruhten. Zudem betonte der vorsitzende Richter, dass die milden Strafen für die Angeklagten nur ihrer außergewöhnlichen Kooperation zu verdanken seien. In den zahlreichen Folgeprozessen sollte in der Tat der Strafrahmen ausgeschöpft werden, denn eigentlich wird Steuerhinterziehung von über 1 Mio. Euro stets mit Gefängnisstrafen geahndet.

Abseits des Prozesses gibt es wenig erfreuliche Neuigkeiten: Der Whistleblower Seith hat Anzeige wegen eines Drohschreibens gestellt, das angeblich von einer Schweizer Bank stammt. Die Schweizer Privatbank Sarasin, deren belastende Dokumente Seith an die Staatsanwaltschaft Köln weitergegeben hatte, verlangt im Rahmen eines Rechtsbegehrens außerdem 58 Mio. Euro Schadensersatz.

Des Weiteren fordert die dänische Steuerbehörde Skattestyrelsen von der zweitgrößten dänischen Anwaltskanzlei Bech-Bruun umgerechnet etwa 100 Mio. Euro wegen ihrer Beratung der deutschen North Channel Bank hinsichtlich Cum-Ex.

2.4 Unternehmenssteuern

Trotz Corona arbeitet die OECD weiter mit Hochdruck an einer Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung. Das große Treffen der Finanzminister der Welt am 1. und 2. Juli in Deutschland ist nach unserer Kenntnis noch nicht abgesagt. Weniger schnell geht es bei der Umsetzung der alten OECD/EU-Vorschläge in Deutschland. Die eigentlich bis Ende 2018 bzw. Ende 2019 fällige Umsetzung der auf BEPS-Empfehlungen (2015) basierenden EU-Richtlinien ATAD 1 (2016) und 2 (2017) wurde erneut verschoben. Das BMF hatte im Dezember 2019 einen recht progressiven Referentenentwurf vorgelegt. Wegen massivem Widerstand der Unternehmensverbände wurde dieser bis Ende März abgeschwächt. Die eigentlich für den 9.4. terminierte Kabinettsbefassung wurde erneut auf den 22.4. verschoben. Eine kleine Anfrage der FDP zeigt, dass er vor allem bei der Wegzugsbesteuerung – einem Herzensthema für die reichen Unternehmerfamilienclans – noch Verhandlungsbedarf gibt. Mehr dazu in unserem Blog.

2.5 Immobilien und Geldwäsche

Betrüger und Kriminelle sind bekanntlich kreativ und schnell, wenn es darum geht, neue „Chancen“ zu ergreifen. Während Banken massenweise Hilfskredite ausreichen, Aufsichtsbehörden im Homeoffice sind und notleidende Unternehmen dringend frisches Geld benötigen darf die traditionelle Geldwäschevorsorge nicht auf der Strecke bleiben. Das zeigt ein Blog von Transparency International genauso wie eine OCCRP Veröffentlichung mit weiteren Details zu den Luanda-Leaks: Demnach haben zwei deutsche FinTechs (Saving Global und Savedo) den portugiesischen Filialen der angolanischen Banken geholfen, europäische Kunden zu gewinnen – die dann laut Bericht quasi als „Feigenblatt“ für deren Geschäfte für die angolanischen Kunden gedient haben.

Währenddessen hat das Landgericht Berlin in einem der ersten und spektakulärsten Fälle bezüglich der 2017 neugefassten Vermögensabschöpfung entschieden. Eine Neuköllner Villa wird eingezogen, weil der damals 19-Jährige Käufer und frische Imbissbetreiber die legale Herkunft des Geldes nicht plausibel erläutern konnte und obwohl die Staatsanwaltschaft die konkrete Tat, aus der das Geld für den Kauf stammt, nicht sicher genug eingrenzen konnte. Dass sich auf dem Berliner Immobilienmarkt nicht nur Kriminelle hinter anonymen Konstrukten und Treuhändern verstecken, zeigt der Fall von Herrn Ziegert und die Recherche zu den Käufern der Buchladens Kisch & Co in der Oranienstraße. Diese Beispiele zeigen eindrücklich, wie die europaweit eingeführten Transparenzregister tatsächlich für etwas mehr Transparenz sorgen, aber immer noch viel zu oft an ihre Grenzen stoßen – weil die tatsächlichen Eigentümer sich nicht ordentlich eintragen (wie im Fall von Ziegert) oder die Registrierpflicht noch nicht gut genug ist (wie im Fall von Kisch & Co). Eine ausführliche Studie dazu folgt in Kürze.

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3. Publikationen

Kommentierte Zusammenfassung: Zucman und Saez (2020): Triumph der Ungerechtigkeit. Die Publikation der beiden Starökonomen mit Vorschlägen für eine grundlegende Reform des weltweiten Steuersystems haben wir bereits vorgestellt. Insbesondere wenn Sie wenig Zeit zum Lesen haben, empfehlen wir das Exzerpt von Karl-Martin Hentschel (Attac, Mehr Demokratie) mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Thesen.

Policy BriefForum Ökologische Marktwirtschaft. Wie notwendige Wirtschaftshilfen die Corona-Krise abfedern und die ökologische Transformation beschleunigen können.

Studie: Forum Ökologische Marktwirtschaft. Tierwohl fördern, Klima schützen: Wie eine Steuer auf Fleisch eine Wende in der Nutztierhaltung einleiten und Anreize für umweltschonenden Konsum liefern kann.

Internationale Dokumente zu Corona und Steuern:

Paper (1 Page), OECD: Tax recommendations in response to the COVID crisis.

Blog, OECD, Tax in the time of Covid-19, 23.03.20

Blog, Tax Justice Network, Blog, My billionaire bosses funnelled money offshore for years. Now they want a bailout, 30.04.20

Blog, Tax Justice Network, Blog, Could the wealth in tax havens help us pay for the Coronavirus response? 27.03.20

4. Termine

Für die Teilnahme an AGs bitte anmelden unter info@netzwerk-steuergerechtigkeit.de

29.04.20, 16:30-18 Uhr: Wer soll für die Coronakrise zahlen?

Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie werden enorm. Die 38 Milliarden Euro, die das erste Paket der Regierung kostet, sind da nur der Anfang. Warum braucht es einen Corona Lastenausgleich der Reichsten, wie Attac ihn fordert? Wie genau funktioniert er?

Anmeldung hier.

06.05.20, 19-21 Uhr: Online-Workshop „Berlins Immobilieneigentümer kartieren“

Wem gehören die Häuser, in denen wir wohnen, und welche wirtschaftlichen Strukturen stehen dahinter? Im Workshop mit Christoph Trautvetter werden Teilnehmer*innen Werkzeuge vermittelt, wie sie über verdeckte Eigentümer recherchieren können.

Anmeldung hier.

31.05.20: Virtuelle Stadtführung „Anonyme und aggressive Immobilieninvestoren in Berlin“

Wie gehen anonyme und aggressive Investoren vor, um ihre Rendite zu steigern? Wo in Berlin haben sie besonders viele Häuser gekauft? Virtuelle Stadtführung mit Christoph Trautvetter.

Anmeldung hier.

Netzwerk Steuergerechtigkeit

Eldenaer Str. 60, 10247 Berlin

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