aufzunehmen. Wie ist es für dich, um mit solch unterschiedlichen Besetzungen zu arbeiten?
Stephan Reh: Diese Frage habe ich mir vor 30 Jahren zum ersten Mal selbst gestellt, als ich mir am Ende meines Studiums intensiver Gedanken darüber machte, wohin genau meine Reise als Tonmeister einmal gehen sollte.
Durch meine freiberufliche Tätigkeit bin ich ungebunden und darf in sehr vielen verschiedenen Gebieten der Musikproduktion arbeiten.
Meine Aufnahmeprojekte erstrecken sich über alle musikalischen Epochen von Gregorianik über Klassik bis zur Moderne. Dadurch begegne ich Besetzungen von Soloinstrument über Kammermusik bis zum großen Orchester mit weit über 100 Musikerinnen und Musikern auf der Bühne.
So stehe ich quasi jede Woche vor einer neuen Aufgabe und Herausforderung. Die Auseinandersetzung damit empfinde ich als sehr bereichernd. Bei jedem Projekt erfahre ich Neues und habe mit anderen Menschen zu tun. Der Erfahrungsreichtum, der sich dadurch in den letzten 30 Jahren schon angehäuft hat, wächst stetig.
Es gibt aber auch im Beruf des Tonmeisters verschieden Teilbereiche. Bei dem von Dir angesprochenen Bruckner-Projekt war ich nicht als Produzent, so wie Du mich kennengelernt hast, engagiert, sondern allein für die klangliche Umsetzung der Partitur – auch während der Live-Übertragungen – zuständig. In den meisten meiner Projekte jedoch gestalte ich die Klangeinstellung und die anschließende musikalische Aufnahmeleitung in Personalunion. Unter meiner Berufsbezeichnung „Tonmeister“ verbirgt sich also ein riesiger Reichtum an verschiedenen Aufgaben und Menschen.
Heute weiß ich, dass gerade diese Vielfalt meinen Beruf so spannend macht.
Trio Cénacle: Wir wissen, dass du von Haus aus Musiker bist, und sowohl Klavier als auch Fagott studiert hast.
Wie kommt es, dass ein Musiker seine Instrumente gegen das Mischpult eintauscht?
Stephan Reh: Bereits als Jugendlicher habe ich tatsächlich sehr viel Kammermusik gemacht und in verschiedenen Orchestern gespielt. Mit 16 Jahren war ich mir sicher, dass ich einmal Fagottist werden möchte. Mein damaliger Fagottlehrer wusste allerdings, dass es bei mir großes Interesse und auch Begabungen in den Naturwissenschaften gab, so dass er mir von einem mir noch wenig vertrauten Berufsfeld der professionellen Musikaufnahme erzählte, die eben die Musik und die Technik miteinander verbindet. Das fand ich sehr spannend. Als Kind fand ich es immer faszinierend, wenn ich meinem Vater - Elektroingenieur – helfen durfte, Radios und Fernseher zu reparieren…
Wenn du in deiner Frage das Mischpult erwähnst, würde die technische Seite dieses Berufs mehr betont. So allerdings sehe ich das gar nicht. Ich würde es heute so formulieren, dass ich mein geliebtes Fagott gegen die Partitur eingetauscht habe. Genau die ist es, die mich heute an meinem Beruf so sehr fasziniert. Alles ziehe ich aus ihr. Es ist wunderbar, eine Partitur, insbesondere von einem wenig oder gar nicht bekannten Stück, in die Hand zu nehmen und darin zu lesen. Es entstehen erste Klänge und Ideen im Kopf und daran anschließend immer die Frage, wie ich diese Partitur im Sinne des Komponisten umsetzen kann. Dabei spreche ich sowohl von einer adäquaten Mikrofonierung, als auch von der daran anschließenden Arbeit mit den Ausführenden, die übrigens den viel größeren Teil meiner Arbeit einnimmt. Diese Faszination der gemeinsamen Arbeit mit den Musizierenden und der Umsetzung der Komposition zeigt mir täglich, dass ich den schönsten Beruf habe, den ich mir für mich vorstellen kann.
Und dass ich bis heute auch meinem Fagott treu geblieben bin und immer noch viel spiele, kommt mir auch in meinem Wirken als Tonmeister sehr entgegen. In meinen Entscheidungen und Diskussionen mit Musikern hilft es sehr, dass mir das Gefühl des eigenen Musizierens und Auftretens vertraut und nie verloren gegangen ist.
Trio Cénacle: Nachdem wir gemeinsam das Victor Hugo Projekt vollendet haben, steht für den Monat August bereits die nächste Zusammenarbeit in deinem Terminkalender: Eine Weihnachts-CD mit dem Trio Cénacle zusammen mit den Bläsern des Calamus Reedquintetts aus Koblenz.
Weihnachtsmusik im Hochsommer! Gab es in deiner beachtlichen Karriere ähnlich absurde Produktionen?
Stephan Reh: In der Tat ist es ja so, dass wir als Tonmeister in der thematisch/inhaltlich gebunden Musik oft antizyklisch arbeiten müssen. Wenn ich zum Beispiel zu Ostern Passionsmusiken veröffentlichen will, müssen diese eventuell zu Weihnachten produziert werden. Für mich als gläubigen Menschen kommt es da schon mal zu einem gefühlsmäßigen Chaos.
Ich erinnere mich an ein Projekt, bei dem ich hier in meiner Kirchengemeinde vor vielen Jahren mit allen Kirchenchören - von den ganz Kleinen im Grundschulalter bis zum Erwachsenenchor - eine Weihnachts-CD aufgenommen habe. Die Aufnahmen fanden kurz vor den Sommerferien bei 35 Grad im Schatten statt. Da kippte dann schon mal der eine oder andere Chorsänger um…
Natürlich kam es in meiner Karriere als Tonmeister, die ja jetzt schon 30 Jahre andauert, zu einigen kuriosen, absurden Situationen. Selbstverständlich sind nicht alle zur Veröffentlichung geeignet. Beispielhaft erzähle ich gerne von einem Projekt Mitte der Neunzigerjahre. Der WDR hatte mich beauftragt, in einer großen Kirche Orgelwerke einer berühmten Komponistin aufzunehmen, die auch selbst die Orgel spielte. Da das ein sensibles Projekt war, wurden der Platz und die Straßen um die Kirche mit polizeilicher Hilfe gesperrt. Die Aufnahmen fanden nach 22 Uhr statt. Als alles eingerichtet war und ich die Aufnahme starten wollt, hörte ich dennoch ein kontinuierliches Brummen außerhalb der Kirche. - Nun, ein Auto der Polizei fuhr immer um die Kirche herum, um das Fahrverbot zu kontrollieren...
Wir danken Stephan für das schöne Gespräch.
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