Im Sommer 2014 diskutierten die Mitglieder der Shakespeare Company Berlin heftig und kontrovers über Sinn und Unsinn einer Winterspielzeit. Ich war damals neu und begeistert von der Leidenschaft und Gründlichkeit, mit der das Für und Wider einer solchen Unternehmung analysiert wurde. Der Plan der Company war, ein beheizbares Zelt in der Lokhalle, die damals noch zugänglich war, zu errichten und zu betreiben. Es gab viel Begeisterung für die Aussicht, auch in der lichtarmen Jahreszeit eine Betätigung zu haben, und unser Publikum nicht ein dreiviertel Jahr bis zur nächsten Saison warten zu lassen. Auch aus der Perspektive der Sponsorenbindung und des Marketings wurde eine solche „Brücke über das Vergessenwerden“ sehr begrüßt. Der Förderverein sagte seine Unterstützung ebenfalls zu, und so wurde das Projekt beschlossen.

Die Proben begannen nicht ohne Schwierigkeiten. Beengte Platzverhältnisse, eine zu kurze Vorbereitungszeit und das Entstehen der Spielfassung während des Spielens zerrten an den Nerven. Mit der Beharrlichkeit und Kreativität des Ensembles und den guten Einfällen der Ausstatterin Gabriele Kortmann kam dann die Aufführung zustande und wir konnten im Januar 2015 eine zauberhafte Premiere erleben. Die Atmosphäre im Zelt war einzigartig, es war gemütlich, recht warm und feierlich.

Die Zuschauer ließen sich sofort überzeugen und strömten reichlich zu dieser ersten Aufführungsserie. Das Experiment war gelungen. Trotzdem war das WINTERMÄRCHEN! keineswegs in trockenen Tüchern. Aufgrund der hohen Nebenkosten und der begrenzten Plätzezahl war diese erste Spielzeit trotz einer erfolgreichen Startnext-Kampagne defizitär. Die Company glich den Verlust, wie vorher beschlossen, aus den Gewinnen des Sommers 2014 aus. Aber auch dieser Malus verkehrte sich binnen kurzem in sein Gegenteil, denn es trat ein, was keiner erwartet hätte: Das Stück schlug auf dem Gastspielmarkt ein wie eine Bombe.

Aber nicht nur monetär, auch künstlerisch ist die Produktion enorm gewachsen und gereift. Wer das Stück heute sieht, erlebt ein sensibles und hochkünstlerisches Meisterwerk der Schauspiel-, Puppen- und Sangeskunst. Ich habe noch niemanden getroffen, den diese traurig-rührende Geschichte vom verblendeten König Leontes, seiner verstoßenen Frau Hermione und ihrer verlorenen Tochter, die bei einem tiefsinnigen Schäfer und seinem inselbegabten Sohn in nicht den schlechtesten Verhältnissen aufwächst, kalt gelassen hätte.

Wir freuen uns sehr auf sieben großartige Vorstellungen und darauf, für Sie zu spielen!

Text: Michael Günther