ab Februar für uns von einem white x-Mas. Auf die Frage, wen wir diesmal interviewen wollen hieß es also schon schnell: Einige kommen in Frage, aber nur Chris Must!
Trio Cénacle: Lieber Chris,
in den vergangenen Jahren haben wir gemeinsam schon mehrere musikalische Schandtaten begangen. Du hast Kompositionen für das Calamus Reedquintet geschrieben, und wir durften in Aufführungen deiner Opern „Der Wind auf der Heide“ und „Der Bär“ mitwirken. Aus dieser Zusammenarbeit ist inzwischen eine echte Freundschaft entstanden, aber es gab wohl auch eine Zeit, bevor wir uns kennengelernt haben. Erzähl uns doch mal, wie ein begabter Komponist aus dem fernen England in der Eifel landet.
Christoper Meux: Als ich vier Jahre alt war, hat meine Mutter mir gezeigt, wie man Noten auf Papier bringen kann. Eifrig rannte ich weg, um die Kunst des Komponierens auszuprobieren. Da ich aber annahm, dass die fünf Finger meiner rechten Hand die fünf Notenlinien korrespondieren sollten, war diese erste Komposition wenig veröffentlichungswürdig.
Ich bin in der Stadt Durham in Nordostengland großgewachsen. Dort strömte Musik auf mich zu – Sohn zweier musikalischen Eltern, jüngerer Bruder zweier klavierhauenden älteren Schwestern, Chorknabe im Kirchenchor (mehr dazu unten), Dauerbesucher der gesungenen Gottesdienste in der Kathedrale, dazu die Oratorien, Opern, Orchesterkonzerte und Soloabende von der Universität veranstaltet. Damals war die Musikfakultät der Durham-Universität höher geschätzt als die in Oxford oder Cambridge. Der Professor, Arthur Hutchings, war Familienfreund, ging bei uns rein und raus und redete enthusiastisch und unablässig über Musik, oft überm Buch, das er gerade schrieb. Ich bekam alles mit.
Kontakt mit guter Musik ist wie Kontakt mit Druckerfarbe zu haben; es ist einfacher das Zeug auf der Haut zu lassen, als zu versuchen, es mühsam zu entfernen. So bin ich weiter den Weg des geringeren Widerstands gegangen – Klavierstunden, Cellostunden, Landesjugendorchester, kleine Konzerte mit Gleichgesinnten veranstalten; und immer wieder kleine Kompositionen.
Als Erwachsene war natürlich klar, dass man mit Komposition kein Geld verdienen konnte, und ich bin Lehrer geworden – kein Musiklehrer, sondern Englisch- und Dramalehrer. Immer wieder komponierend, sei es ein Musical für die Schule, Chorsätze für Laienchöre, und immer wieder selbstgetextete Lieder für besondere Anlässe – Geburtstagsfeier, Elternabende, Kabarettauftritte…
England, Deutschland – mit sechzig habe ich mit dem Lehrersein aufgehört. Seitdem nehme ich die Sache etwas ernsthafter; ich arbeite momentan an meinem elften Bühnenstück. Um die dreißig Aufführungen habe ich in diesen Jahren gehabt, mal größer (die drei große Musical-Opern mit kombinierter Laien- und Profibesetzung waren Riesenprojekte), mal kleiner. Ich wüsste nicht, wie ich mich dazu bringen könnte, aufzuhören. Ich glaube, die Natur muss das für mich erledigen.
Trio Cénacle: Wir kennen dich in erster Linie als Komponist, aber für unsere Weihnacht-CD hast du hauptsächlich Arrangements geschrieben für die Kombination Trio Cénacle & Calamus Reedquintet.
Was ist für dich als Künstler der größte Unterschied zwischen dem Komponieren und dem Arrangieren und wo liegt deine Präferenz?
Christopher Meux:
Ob er es will oder nicht, entblößt der Komponist in seinen Werken Teile seiner Persönlichkeit. Die musikalische Mitteln (und in meinem Fall auch oft die dazugehörende Texte) holt er aus seinen geistigen Fundus heraus – aus seine Erfahrung, seine Ausbildung und sein Unterbewusstsein. Nach meiner Erfahrung ist das Letzte das Entscheidende – das Gehirn arbeitet obsessiv im Hintergrund, bis ich das „Richtige“ erkenne. Und wenn das Ergebnis zeigt, dass ich ein kleines Lichtlein bin, dann muss ich dazu stehen; mein Schaffen bringt den Beweis – ob ich es will oder nicht.
Der Arrangeur ist aber der Hofnarr, der immer wieder in neuer Vermummung auftritt. Will man von ihm flott-amerikanisch haben? Bitte schön – ein Hauch Boogie-Bass, schmelzende Richard-Rodgers-Harmonien, bekannte Big-Band-Riffs – fast sieht man den Uncle-Sam-Zylinder. Oder eine französische Melodie? Dann gibt es spritzige Bläserklänge, perlendes Klavier; ein Echo aus den 1930er Jahren und Les Six.
Klauen tut der Arrangeur noch unverschämter als der Komponist. Warum nicht – die Melodie hat er gestohlen, warum nicht auch mehr? Eine schöne Harmoniewendung von einer halbvergessenen CD, eine zweite Stimme aus dem 19. Jh. – warum nicht?
Und welche Tätigkeit bevorzuge ich? Ich weiß es ehrlich nicht.
Trio Cénacle: Als wir dich beauftragt haben mit dem Arrangieren der Weihnachtslieder hast du uns überrascht mit deinem Repertoire. Du hast uns in eine Welt geführt, die viel weiter reicht als „Oh Tannenbaum“ oder „Jingle Bells“.
Besonders die englischen Weihnachtslieder haben uns angetan. Was unterscheidet die Christmas Carols aus deiner Heimat von den Weihnachtslieder des Festlandes?
Christopher Meux: Christmas Carols spielen eine große Rolle in der englischen Weihnachtstradition – wobei nicht alles, was unter diesem Begriff gesungen und gespielt wird, echte Carols sind. Ein Carol ist nämlich ein Tanzlied – und nicht nur weihnachtlich. Aber auch andere beliebte Kirchenlieder schmucken ein englisches Weihnachtsfest. Da lohnt es sich, ein Blick in einem englischen Kirchenliedbuch zu werfen.
„Hymns Ancient and Modern“ (erst im späten 19.Jh. herausgebracht) und „English Hymnal“ (früh 20.Jh.) sind die Fundamenten der englischen Gemeindechormusik (wobei die „populäre“ Musik ihren Weg in die Kirche auch gefunden hat). Beide beinhalten Lieder von späten Renaissance bis zum 20. Jh. – und alles dazwischen. Byrd, Tallis, Bach Choräle, Händel, die Psalm Tradition des 17. Jhs., Haydn, Mozart, Pietismus, viktorianische Melodie- und Harmonieschmalz, Lieder aus Russland, Frankreich, aus wiedergewonnenes Volksgut. Zum großen Teil einprägsame, starke Melodien und solide Harmonien im vierstimmigen Satz.
In unserer Kirche – mein Vater war der Pfarrer und Arthur Hutchings der Organist – sang ich im Chor; erst Sopran, dann Alt, dann Tenor und gelegentlich (wenn nicht zu tief) Bass. Harmonielehre war schon einprogrammiert. Und wir sangen alles, was es nur gab.
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