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Newsletter 4/2020

Inhalt

1. Einleitung  

2. Überblick aus Presse und Wissenschaft zu unseren Arbeitsbereichen

         2.1 Unternehmenssteuern        

         2.2 Vermögen- und Erbschaftssteuer

         2.3 Steuern und Entwicklung

         2.4 Steuerbehörden und Steuerbetrug        

         2.5 Geldwäsche und Immobilien

3. Publikationen             

4. Termine

1. Einleitung

Liebe steuerpolitisch Interessierte,

im Mai war die Arbeit des Netzwerk von der Absicht dominiert, Steuergerechtigkeit in die staatlichen Antworten auf die Coronakrise zu bringen. Unsere Forderungen reichen von einer Vermögensabgabe statt Kürzungen der staatlichen Ausgaben über kurzfristige Hilfen und langfristige Erhöhung der Staatseinnahmen von Staaten im Globalen Süden bis zu Transparenzbedingungen für Staatshilfen an deutsche Konzerne.

In diesem Newsletter finden Sie darüber hinaus neue Forschungsergebnisse zum Steuerwettkampf zwischen Hochsteuerländern, Veranstaltungshinweise für eine virtuelle Stadtführung und viele spannende Infos mehr.

2.1 Unternehmenssteuern

Die Idee „keine Staatshilfe an Steueroasen“ findet breite Unterstützung und feiert erste Erfolge. Auf die von der Tagesschau aufgeworfene Frage, warum die Lufthansa eine Tochtergesellschaft auf den Kaimaninseln unterhält, obwohl sie dort nicht hinfliegt, veröffentlichte das Unternehmen Erläuterungen zu sechs Töchtern auf den Kaimaninseln, Guam und Panama – ein rein symbolischer Akt, weil Angaben zu Gewinnen und Steuern genauso fehlten wie die wesentlichen Steueroasentöchter in Malta, Irland oder der Schweiz. Gemeinsam mit Campact und Finanzwende haben wir uns die Steuerpraktiken der Lufthansa genauer angeschaut und wollen bei der 98. Kabinettssitzung am 27.05 die gesammelten Unterschriften zum Appell übergeben (hier noch schnell unterzeichnen). Gute Vorschläge, wie aus dem Slogan mehr als Symbolpolitik wird, macht Tax Watch aus Großbritannien – neben einer Rückzahlungspflicht, falls Steuerbehörden in Zukunft Steuervermeidung feststellen fordern sie mehr Kapazitäten für die Steuerbehörden, eine schwarze Liste, um Steuervermeider von Staatsaufträgen ausschließen zu können, detaillierte öffentliche Daten über die Beihilfen und nicht zuletzt öffentliche länderbezogene Berichterstattung.

Dass die typische Ausrede „alles legal und dem deutschen Fiskus bekannt“ (Lufthansa zu Malta-Aktivitäten, 2017) in die Irre führt, zeigt die neueste Studie von Tørsløv, Wier und Zucman mit dänischen Daten sehr eindrücklich – wegen des geringeren Widerstands verwenden Steuerbehörden ihre beschränkten Ressourcen eher darauf Steuersubstrat aus anderen Hochsteuerländern einzuklagen als sich mit aggressiver Steuervermeidung in Steueroasen auseinander zu setzen. Eine gute deutsche Zusammenfassung findet sich hier, unser Lieblingssatz aus dem Original hier:

“We further show how this current incentive structure can lead to a socially sub-optimal arms race, where high-tax countries spend resources on stealing a bit of revenue from each other with little impact on the global tax bill of multinationals. Meanwhile, tax-planning firms reap the benefits of distracted tax authorities by shifting more profits to tax havens.”

Währenddessen in Deutschland:

  • BDI, Sachverständigenrat und mehrere Studien fordern eine Ausweitung der Verlustrück- und Vorträge. Langenmayr und Koch zeigen mit Orbis-Daten zwei ganz unterschiedliche Ansätze – längere Rückträge kombiniert mit der bestehenden Obergrenze von €1 Mio. sind billig und vor allem für kleine Unternehmen interessant; alles andere wird teuer und hilft vor allem den Großen.
  • Das Gesetz gegen Steuervermeidung hat es immer noch nicht durchs Kabinett geschafft, wird mittlerweile aber anscheinend auf Ministerebene verhandelt. (mehr dazu im Blog).

2.2 Vermögen und Erbschaft

Die deutsche Diskussion zur Vermögensabgabe köchelt weiter vor sich hin, jedoch weniger intensiv. Momentan werden, wahrscheinlich zurecht, hauptsächlich die verschiedenen Möglichkeiten diskutiert, die Konjunktur möglichst effektiv wieder anzukurbeln.

Doch auch die ersten Rufe nach Kürzung der Staatsausgaben zur Rückführung der Staatsschulden sind bereits zu vernehmen: „Wir sollten nach der akuten Krise alle staatlichen Leistungen von Bund, Ländern und Gemeinden auf den Prüfstand stellen“, wird Friedrich Merz zitiert. Das scheint sowohl im Hinblick auf Verteilungsgerechtigkeit als auch eine robuste nationale Konsumbasis hochgefährlich. Diesen Schreckensvisionen stellen sich die Politikwissenschaftler Burchardt und Warnecke-Berger entgegen, die eine Vermögensabgabe von 30 % auf nicht-selbstgenutztes Immobilienvermögen und Geldvermögen ab 1 Million Euro fordern. Das Aufkommen schätzen sie auf 400 Mrd. Euro, zahlbar innerhalb von 10 Jahren. Auch Starökonom Thomas Piketty sprach sich für eine Vermögensabgabe aus (Video der Veranstaltung).

Abseits von Corona hat eine Kleine Anfrage der Grünen aufgezeigt, wie die Erbschaftsteuerreform als "Konjunkturprogramm für Steuerberater" fungiert hat: Bevor die neuen Regelungen in Kraft traten, wurden allein 2014 Großfirmen im Wert von 33 Mrd € verschenkt – dreimal so viel wie noch 2013. Die Vermögen bleiben in der Familie: in den letzten Jahren wurden 90 Kindern unter 14 steuerfrei Firmen im Wert von 30 Milliarden Euro vermacht. Auch die neue Erbschaftsteuer sieht viel zu große Ausnahmen für Betriebsvermögen vor, aus denen die deutschen Supervermögen zum Großteil bestehen.

2.3 Steuern und Entwicklung

Der Globale Süden wird wirtschaftlich hart von der Coronakrise getroffen. Insbesondere wichtige Einnahmen aus dem Außenhandel und Tourismus brechen weg. Gleichzeitig fehlen vielen Staaten die Mittel, um wirtschaftliche Verluste durch Konjunkturpakete ähnlich denen in Europa zu begrenzen. Hinzu kommt die Kapitalflucht aus vielen Ländern, welche zu Problemen in der Bedienung von Staatsschulden führt. Der IWF hat 25 Staaten einen vorläufigen Schuldenerlass gewährt und die G20 haben ein Schuldenmoratorium bis 2021 für insgesamt 77 Staaten beschlossen. Diese Maßnahmen reichen bei weitem nicht aus, sondern verschieben die Probleme lediglich in die Zukunft.

In der AG Steuern und Entwicklung arbeiten wir momentan an einem Positionspapier von Mitgliederorganisationen zu notwendigen Maßnahmen zur sozial und ökologisch verträglichen Steigerung der Staatseinnahmen im Globalen Süden. Argentinien zeigt dabei, wie ertragreich Steuerdaten aus dem vom Netzwerk lange geforderten automatischen Informationsaustausch sein können: Durch eine genaue Untersuchung der ersten erhaltenen Datentranche stehen zusätzliche Steuerforderungen von über 100 Millionen Dollar im Raum – und das für lediglich die im Nachbarland Uruguay versteckten Gelder (950 Konten mit insgesamt 2,6 Milliarden Dollar).

2.4 Steuerbehörden und Steuerbetrug

Die Gerichtsverfahren zu Cum-Ex kommen seit Abschluss des ersten Bonner Verfahrens nicht weiter voran. Noch hat keins der Landgerichte, bei denen Anklage eingereicht wurde, Verhandlungstermine festgelegt. Die Staatsanwaltschaft macht allerdings weiterhin ihre Arbeit und hat den ehemaligen Chef der Maple Bank Wolfgang Schuck festnehmen lassen (mittlerweile gegen Kaution auf freiem Fuß). Zusätzlich wurden im betreffenden Fall 24,9 Millionen Euro Vermögen der sechs Beschuldigten arretiert.

Maple hatte mit Cum-Ex-Geschäften 390 Millionen Euro entwendet und ging wegen der Rückforderungen in die Insolvenz. Schucks Privatvermögen vermuten die Ermittler in Steueroasen und er war bereits früher Ziel von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Der Maple-Komplex umfasst auch die Anwaltskanzlei Freshfields und soll am LG Frankfurt verhandelt werden.

Verjährung ist weiterhin ein Thema, insbesondere in NRW. Die absolute Verjährungsfrist, die nicht mehr weiter verlängert werden kann, kommt bei den ersten von der Staatsanwaltschaft Köln untersuchten Fällen 2027 zum Tragen. Das klingt weit in der Zukunft. Angesichts dessen, dass die Staatsanwaltschaft Köln mit 8,7 Planstellen mittlerweile fast 900 Beschuldigte in 68 Verfahren verfolgt, sollte den Steuerzahler*innen hier mulmig werden.

Wegen Ansteckungsgefahr wurden zu Beginn der Coronakrise Durchsuchungen der Steuerfahndung bei Verdächtigen zunächst ausgesetzt, da nicht genug Schutzkleidung vorhanden war. Die mangelhafte IT-Ausstattung hat zudem das Arbeiten von Zuhause erschwert. Hier unterstreicht die Coronakrise strukturelle Schwächen der Steuerbehörden.


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2.5 Immobilien und Geldwäsche

[E]veryone is doing badly, but some are doing less badly than others’ – Geldwäschebekämpfung findet oft nur kurz vor einer Überprüfung statt und dann auch nur gerade genug um nicht auf der grauen Liste zu landen, stellte der Generalsekretär der FATF kürzlich im Interview mit ICIJ fest. Ob der vernichtende Bericht der FATF zu den Vereinigten Arabischen Emiraten – übrigens Wahlheimat mehrerer Cum-Ex-Betrüger – zu effektiven Verbesserung z. B. bei der internationalen Kooperation führt oder nur zu window-dressing, bleibt abzuwarten. (Mehr dazu in unserem Tweet dazu). Währenddessen bereitet sich Deutschland intensiv auf die anstehende (wegen Corona auf Herbst verschobene) Prüfung vor. Dass dafür beim Transparenzregister noch sehr viel zu tun bleibt – zeigt die Studie „Keine Transparenz trotz Transparenzregister“ am Beispiel des Berliner Immobilienmarktes.

Warum bei einem großen Mafiaverfahren wieder fast nur italienische Immobilien beschlagnahmt wurden und die Hintermänner in Deutschland unbehelligt blieben erklärt der zuständige Staatsanwalt anschaulich: ein Personalbedarfsberechnungssystem, das komplexe Ermittlungen bestraft, Vermögensabschöpfung, die trotz verbesserter Regeln oft an den Kapazitäten scheitert und ein viel zu tatenbezogenes Strafverfahren. So entsteht eine Polizeistatistik, laut der organisierte Kriminalität winzig erscheint – ein Rückschluss, den BDK-Chef Fiedler bei Markus Lanz zu Recht als „Dummes Zeug“ klassifizierte. Wie echte Geheimniskrämerei trotz aller Fortschritte weiterhin funktioniert zeigt ein Fall aus South Carolina (USA): Obwohl sie vor der Scheidung selbst in den Immobilien gewohnt und die Yacht mit ausgesucht hatte, gelingt es der Ex-Frau selbst mit anwaltlicher und gerichtlicher Unterstützung nicht, ihrem Ehemann das Eigentum nachzuweisen, weil der es in einem der berüchtigten „asset trusts“ versteckt hatte. Dass es den überlasteten deutschen Steuerbehörden mit den sehr dünnen Datenlieferungen aus den USA (und einem ähnlich unerbittlichen Personalbedarfsberechnungssystems wie bei der Staatsanwaltschaft) besser ergeht, scheint unwahrscheinlich. Mittlerweile haben sich deswegen 250 bis 900 Milliarden US-Dollar in South Dakota angesammelt und die USA sind auf dem Weg zur größten Steueroase der Welt.

3. Publikationen

Studie: Markus Henn (4/2020): Die Illusion der Souveränität. Sonderwirtschaftszonen und Sondersteuern in Afrika.

Studie: Markus Henn/Christoph Trautvetter (5/2020): Keine Transparenz trotz Transparenzregister: Ein Recherchebericht zu Anonymität im Berliner Immobilienmarkt

4. Termine

Für die Teilnahme an AGs bitte anmelden unter info@netzwerk-steuergerechtigkeit.de

31.05.2020, 17:00-18:30 Uhr

Virtuelle Stadtführung „Anonyme und aggressive Immobilieninvestoren in Berlin“

Anmeldung hier.

28.05.2020, 15:00 Uhr

Arbeitsgruppe Vermögen und Erbschaft, Telefonkonferenz

02.06.2020, 17:00 Uhr

Steuerpolitische Folgen der Corona-Krise (u. a. mit Stefan Bach). Veranstalter: Verein zur Förderung der Steuerwissenschaft.

Anmeldung hier.

Netzwerk Steuergerechtigkeit

Eldenaer Str. 60, 10247 Berlin

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